Die Stadt Marktoberdorf will für sicheren Überholabstand werben, das begrüßt die Arbeitsgruppe Mobilität des Bündnis Nachhaltiges Marktoberdorf. Ein offizieller Hinweis zum Überholabstand unterstreicht die Wichtigkeit. Seit 2021 ist ein Abstand von 1,5 m innerorts und 2 m außerhalb geschlossener Ortschaften in der Straßenverkehrsverordnung (StVO) vorgeschrieben, um Radfahrer:innen zu schützen und ihnen ein sicheres Gefühl des Miteinanders im Straßenverkehr zu geben.

Warum brauchen Radfahrer:innen besonders viel Überholabstand?

Um die Notwendigkeit des Mindestabstands zu verstehen, sind die physikalischen Gegebenheiten entscheidend. Ein Radfahrer bewegt sich physikalisch betrachtet in einem labilen, dynamischen Gleichgewicht. Er muss sicherstellen, dass er die Verbindungslinie zwischen den Radaufstandspunkten beibehält, obwohl dabei Gewichts- und Trägheitskräfte wirken. Dies führt unweigerlich zu leichten Schlangenlinien, Kurven und Ausgleichsbewegungen. Bei seitlichem Wind ist der Radfahrer gezwungen, durch Schräglage zu reagieren.

Konkret bedeutet dies, dass Radfahrer durch das Pendeln um die gewünschte Fahrlinie einen breiteren Fahrspurkorridor benötigen. Dieser Korridor hängt zudem von verschiedenen Faktoren ab: der Geschwindigkeit, der Geometrie des Rades, der Anordnung der bewegten Massen im Gesamtsystem und den Fähigkeiten sowie dem Wohlbefinden des Fahrers. Darüber hinaus kommen Luftbewegungen sowie Sog- und Druckwellen von überholenden Verkehrsteilnehmern hinzu – diese Effekte verstärken sich, je enger und schneller überholt wird. Deshalb ist ein ausreichender Verkehrsraum unerlässlich. Erfahrene und schnell fahrende Radler können oft längere Zeit ohne Pendelbewegungen fahren, während unsichere Fahrer oder Kinder dafür anfälliger sind.

Was gilt beim Überholen?

Innerorts sind 1,5 Meter als Mindestüberholabstand festgeschrieben. Sind Kinder unterwegs oder wird mit mehr als 50 km/h überholt, werden zwei Meter empfohlen. Die Realität sieht aber anders aus: Noch immer wird zu eng überholt, auf dem Land wie in der Stadt.

  • Innerorts müssen Kraftfahrzeuge mindestens 1,5 Meter Abstand zu Radfahrenden halten.
  • Außerorts und bei Geschwindigkeiten über 50 km/h sind 2 Meter Abstand erforderlich.
  • Auch beim Überholen von Kindern oder Eltern mit Kindern sind 2 Meter dringend empfohlen.
  • Ebenso sollen Lkw und Busse aufgrund höherer Sogwirkung 2 Meter Abstand einhalten.
  • Zudem sollten auch Radfahrende mindestens 1 Meter Abstand zu parkenden Autos halten, um nicht durch unachtsam geöffnete Autotüren verletzt zu werden.

Dass dieser Appell dringend nötig ist, zeigen Messungen, die die Arbeitsgruppe Mobilität im Bündnis Nachhaltiges Marktoberdorf zusammen mit dem ADFC und der Hochschule Kempten durchgeführt hat. Mit dem sogenannten OpenBikeSensor können Überholabstände gemessen und durch GPS und Fahrtrichtung in einer Straßenkarte dargestellt werden. So wird deutlich in welchen der getesteten Straßen rücksichtsvoll und sicher (grün) oder zu eng (rot) überholt wurde. „Das Messgerät ‚OpenBikeSensor‘ erfasst den Abstand zu Gegenständen links und rechts vom Fahrradlenker. Über ein GPS-Modul wird die Position, Fahrtrichtung und Geschwindigkeit erfasst.“, erklärt Michael Korn die Technik. „Werde ich überholt, kann ich mit einem Knopf am Lenker den Abstand in diesem Moment erfassen“ ergänzt Johannes Auburger. So werden Überholabgänge von Begegnungen mit dem Gegenverkehr oder dem Vorbeifahren an Fahrbahnteilern unterschieden. Alle Überholvorgänge werden erfasst und anschließend ins Internet geladen, wo sie statistisch ausgewertet und auf einer Karte visualisiert werden. Diese Kooperation mit der Hochschule Kempten und dem ADFC soll helfen, gefährliche Streckenabschnitte mit zu knappen Überholabständen zu verdeutlichen.

Unter https://obs.adfc-bw.de/map#13.00/47.785024725231224/10.625026595532557 können die Ergebnisse eingesehen werden.

Insgesamt sind so in den letzten Monaten über 500 Überholvorgänge in der Kreisstadt erfasst worden. Bei 45% wurden die 1,5 m unterschritten. Teilweise waren es nur 30 oder 40 cm zwischen Fahrrad und Auto.

Verteilung der Überholabstände auf der Ruderatshofener Straße nach Süden. Quelle: https://obs.adfc-bw.de/

cm zwischen Fahrrad und Auto.

In der Ruderatshofener Straße spiegeln die Ergebnisse auch die Erfahrungen vieler Radler wider: Stadteinwärts wird der Überholabstand eher eingehalten. Als Radfahrer muss man an den Autos in den Parkbuchten einen Sicherheitsabstand von ca. einem Meter einhalten, um bei plötzlich öffnenden Türen nicht verletzt zu werden und um auch nicht eine Teilschuld zu erhalten.

Verteilung der Überholabstände auf der Ruderatshofener Straße nach Norden. Quelle: https://obs.adfc-bw.de/

Nach Norden hingegen wird immer wieder sehr eng überholt. Trotz oder gerade wegen des Schutzstreifens überholen Autos teilweise bei Gegenverkehr oder innerhalb der Querungsinsel. So kann der Überholabstand nicht eingehalten werden. Aus Angst weichen unsichere Radler:innen dann auf den Gehweg aus, was aber nicht erlaubt ist und zu Konflikten mit den Fußgängern führt. Auch an den Hofausfahrten sind Radfahrer auf dem Gehweg erst spät zu erkennen.

Unsichere Radler:innen weichen auf den Gehweg aus, wenn sie sich durch zu knappes Überholen bedroht fühlen. Foto Johannes Auburger

Daher plädiert ADFC-Vorsitzender Johannes Auburger dafür, den Schutzstreifen entweder auf das in der StVO vorgeschriebene Maß von 1,5 m zu erweitern oder komplett zu entfernen, wenn dann keine vorgeschriebene Restfahrbahnbreite von 4,5 m übrigbleibt. „Eine Alternative könnten sogenannte Fahrradpiktogrammketten sein, um Autofahrern und Radfahrern zu zeigen, dass sie sich hier die Fahrbahn teilen müssen.

Der Schutzstreifen muss laut StVO incl. Markierung mind. 1,5 m breit sein, Gulli und Rinnstein zählen nicht zur Breite. Der Meterstab zeigt hier die 1,5 m Überholabstand an. Bei Gegenverkehr kann hier definitiv nicht überholt werden. Foto Johannes Auburger

Polizeihauptkommissar Rudolf Stiening weist an dieser Stelle noch darauf hin, dass Fahrzeugführer, auch Pkw-Fahrer, den Schutzstreifen nicht ohne Grund befahren dürfen. Lediglich zum Abbiegen oder Ausweichen, dürfen Fahrzeuge den Fahrradschutzstreifen befahren, wenn keine Radfahrer behindert oder gefährdet werden. Notfalls muss hier hinter dem Radfahrer langsam gefahren werden. Auch Halten oder gar Parken sind auf den Schutzstreifen verboten und es drohen Geldbußen von 55 bis 100 €.

Mehrfach wurden auch Überholvorgänge im Kreisverkehr erfasst. Es ist grundsätzlich verboten im Kreisverkehr und beim Einfahren in den Kreisverkehr zu überholen. Beispiele am „Aldikreisel“ zeigen die Gefährdung und Nötigung von Radlern durch Autofahrer: Vom Bahnhof kommend will der Radfahrer in die Georg-Fischer-Straße abbiegen, wird aber in diesem Moment von einem Auto überholt, das gerade aus die Bahnhofstraße nach Süden weiterfahren will. Hier kann der Radfahrer nur noch geistesgegenwärtig die Fahrt abbrechen, um eine lebensgefährliche Kollision zu verhindern.

Johannes Auburger mahnt alle Autofahrer zu mehr Geduld, „Wenn ein langsamer Traktor vor Ihnen fährt, müssen Sie auch warten, bis die Gegenfahrbahn frei ist. Fahren Sie bitte defensiv und versetzen Sie sich immer wieder in die Lage der anderen Verkehrsteilnehmer.“